Geschichts- bzw. Erinnerungs- bzw. Identitäts- bzw. Vergangenheitspolitik ist ein ebenso zentrales wie brisantes Thema in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Traditionen und Feiertage werden erfunden, Mythen instrumentalisiert, Straßen umbenannt, Gedenkstätten und Denkmäler schießen überall wie Pilze aus dem geschichtsgesättigten Boden. Warum das so ist, dazu schreibt
Todor Kuljić in seinem 2010 erschienenen Buch "Umkämpfte Vergangenheiten. Die Kultur der Erinnerung im postjugoslawischen Raum" (
Verbrecher Verlag) lakonisch:
"Vielleicht kann man die heutige Situation der neuen jugoslawischen Staaten besser verstehen, wenn man weiß, dass zwischen Triest und dem Ural vor fast hundert Jahren nur sechs der heutigen 23 Staaten existierten (...). Angesichts der Tatsache, dass neue Staaten immer auch eine neue Vergangenheit benötigen, erklärt die hohe Zahl der neu entstandenen Staaten, warum so viele phantastische und nebeneinander herlaufende Versionen von Geschichte im Umlauf sind." (S. 39) "Die ehemaligen jugoslawischen Republiken wurden plötzlich uralt." (S. 126)
Die neuen Nationalismen entstanden seit den 1980er Jahren zunächst in Frontstellung gegen Kommunismus, Tito und Jugoslawien (und damit gegen den Antifaschismus, der allen drei zugrundeliegt), dann in Abgrenzung gegen die anderen im Prozess der Erfindung begriffenen Nationen im postjugoslawischen Raum und führten schließlich zum Krieg, dem sich der bis heute andauernde "Bürgerkrieg der Erinnerungen" (S. 152) anschloss.
"Wie die Anhänger der Postmoderne konstatieren, haben große Geschichten und Helden ihre Bedeutung verloren. Für den postjugoslawischen Raum trifft dies nicht zu, auf dieser Region lastet immer noch schwer die Vergangenheit, auch wenn es Anzeichen für die allmähliche Verarbeitung dieser Vergangenheit gibt." (S. 150)
Solche Anzeichen finden sich beispielsweise in zwei jüngeren Arbeiten über die Geschichtspolitik in Bosnien-Herzegowina, die auf der
Website des
"Imre Kertész Kolleg’s Cultures of History Forum" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena veröffentlicht wurden:
Auf der Website des Projekts "
Balkan Transitional Justice", die zu den zentralen Informationsquellen über den postjugoslawischen Raum zählt, finden sich Interviews mit den beiden AutorInnen:
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