Freitag, 21. Dezember 2018

Weihnachtsbrief unserer Projektleiterin aus Sarajevo

Foto: Ragnar Müller
Seit vielen Jahren berichtet unsere Projektleiterin Ingrid Halbritter in Bosnienbriefen von unserer Arbeit (alle Briefe und Berichte der vergangenen Jahre finden sich hier).

Seit einigen Jahren gibt es darüber hinaus zum Jahresende einen Weihnachtsbrief aus Sarajevo. Eben dieser Brief wurde heute an alle Interessenten verschickt, und man kann ihn hier online lesen: Weihnachtsbrief

Dienstag, 18. Dezember 2018

Projektbesuch in Zeljezno Polje

Foto: Ragnar Müller
Bericht des ehemaligen Pharos-Vorstands und Leitungsteam-Mitglieds Hans Krämer über die Reise nach Bosnien-Herzegowina zu unseren Pharos-Projekten vom 27.10. - 03.11.2018, vorgetragen während des Pharos-Informationsabends am 16.11.2018 in Echterdingen

Zeljezno Polje ist ein Dorf, hoch in den Bergen nordwestlich von Sarajevo. Dieses Dorf erlebte im regenreichen Jahr 2014 eine Naturkatastrophe. Die Erde bewegte sich vom vielen Regen und mit ihr einige der darauf stehenden Häuser. Es muss ganz unheimlich gewesen sein. Viele Häuser zeigten Risse, andere zerbrachen, kippten ab, und der kleine Bergbach wuchs zu einem Ungeheuer an, das riesige Erdmassen zu Tal führte und dort Häuser und die einzige Zufahrtstraße beschädigte oder zerstörte.

Dieses Dorf hatten wir nach der Katastrophe besucht und „Erste Hilfe“ geleistet: Diesel für Traktoren und Geländefahrzeuge, um die Himbeerernte zum Händler zu bringen, die Reparatur einer Wasserleitung für ein ganzes Dorf, eine Stützmauer für ein vom Erdrutsch bedrohtes Haus, Baumaterialien für bedürftige Familien zum Fertigbau ihrer Häuser.

Wir finden, es ist wichtig, dass wir nach einiger Zeit nachsehen, was aus unseren Spenden geworden ist. So besuchten wir, Heike Schesny-Hartkorn, Vorsitzende des Vorstandes von Pharos, Ingrid Halbritter, Projektleiterin von Pharos, und ich auf unserer Bosnienreise am 1. November eine junge Familie, die von Pharos 1.500.- Euro erhalten hatte, um das Haus mit einem Dach zu versehen.
Der junge Familienvater erwartete uns unruhig, wollte uns voll Stolz sein Werk zeigen. An der Haustür hatte uns die junge Mutter begrüßt, mit einem drei Wochen alten Baby auf den Arm. Die ganze Großfamilie hatte sich im Wohnzimmer versammelt. Kinder rannten aufgeregt hin und her.

Eigenartig, die schönen Züge der jungen Mutter vermittelten das Gefühl von Glück, aber da war auch ein Hauch von Trauer zu spüren. Etwas später im Gespräch erfuhren wir dann den Grund. Das Kind hatte nur eine Hand mit auf die Welt gebracht. Am linken Ärmchen endeten die Finger-Ansätze kurz unterhalb des Ellbogens. Ich hatte den Eindruck, es war tröstlich für unsere Gastgeber, von Ingrid zu hören, dass eine der jungen Frauen aus Deutschland, die in Bosnien ein Freiwilliges Soziales Jahr geleistet hatte, mit einer ganz ähnlichen Behinderung recht gut durchs Leben kommt.

Die Kinder spielten mit Aska, Ingrids Hund, während wir Erwachsenen Saft tranken und das neue schöne Dach besichtigten. Dann mussten wir weiter. Wir wurden mit herzlichem Dank verabschiedet. Unsere, Ihre Spende hat hier in Zeljezno Polje ihr Ziel erreicht, nämlich Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, vor Ort Hoffnung zu wecken, hier leben und bleiben zu können.

Schließlich, dies muss ich noch erzählen, ergab sich ein unerwartet schöner Nebeneffekt. Unsere Kontaktperson in diesem Dorf, der stellvertretende Schulleiter und Leiter der Erzeugergemeinschaft für Himbeeren, Suvad Hadzic, sagte zum Schluss: Ihr bei Pharos, Ihr seid glückliche Menschen, ihr könnt anderen Menschen in Not helfen, könnt sie glücklich machen.

Ingrid wäre nicht Ingrid, wenn sie nicht sofort darin eine Möglichkeit gesehen hätte, einen engagierten Menschen vor Ort für ein neues Projekt von Pharos zu gewinnen. Wir freuen uns, dass Suvad sich nun mit uns zusammen dafür einsetzt, dass in seinem Land Gesetze geändert werden, damit sozial bedürftige Menschen eine Krankenversicherung erhalten können.

Dies sind die kleinen Wunder, die uns ermutigen, und auch Sie ermutigen mögen, weiterzumachen mit unserer Arbeit, mit Ihrer finanziellen Unterstützung.

Montag, 17. Dezember 2018

Landwirtschaftliches Entwicklungsprojekt in Fakovici - eine Bilanz

Foto: Ragnar Müller
Bericht des ehemaligen Pharos-Vorstands und Leitungsteam-Mitglieds Hans Krämer über die Reise nach Bosnien-Herzegowina zu unseren Pharos-Projekten vom 27.10. - 03.11.2018, vorgetragen während des Pharos-Informationsabends am 16.11.2018 in Echterdingen

Fakovici ist fast schon unsere zweite Heimat in Bosnien geworden. Fakovici liegt ganz im Osten des Landes an dem großen Fluss Drina, in der Nähe von Srebrenica. Was haben wir diesmal erlebt?

Seit etwa 8 Jahren arbeiten wir, zusammen mit den Bewohnern dieses Dorfes, an dem großen landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekt „Himbeeren-Anbau“. Ziel des Projektes ist, den Bewohnern einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit eine Einkommensverbesserung durch fachgerechten Beerenobstanbau zu ermöglichen. Ich möchte heute eine kurze Bilanz aus meiner Sicht ziehen.

Rückblickend darf ich sagen, bei diesem Projekt sind Menschen über sich hinausgewachsen, vorneweg Ingrid Halbritter, die als Pharos-Projektleiterin in Fakovici gewissermaßen ein mittelgroßes Geschäft aufbauen half, aber auch Bewohner des Dorfes wie Slavica Lalusic, die treibende Kraft vor Ort und Koordinatorin. Karl Josef Does, unser Pharos-Leitungsteam-Mitglied muss genannt werden, er hat uns ganz wesentlich unterstützt bei unseren zahlreichen Projektbesuchen und bei der Ausarbeitung betriebswirtschaftlicher Kalkulationen und Konzepte zu deren Umsetzung.

Wir erlebten während unserer vielen Besuche vor Ort, aber auch zwischendurch Höhen und Tiefen bei der Durchführung des Projekts. Wasserreservoire wurden gebaut und Bewässerungssysteme bis zur Himbeer-Staude verlegt, Maschinen zur Bodenbearbeitung wurden angeschafft, eine Erzeugergemeinschaft gegründet, zahlreiche Versammlungen, auch mit uns zusammen, abgehalten, und wir luden zu vielen Weiterbildungen ein. Darüber hinaus hielten wir Kontakt zu dem Bürgermeister der 30 Kilometer entfernten Kreisstadt Bratunac. Mit ihm haben wir einen intensiven, offenen Erfahrungsaustausch gepflegt, der Früchte trug.

Wir erfuhren Vertrauen und erfrischende Kooperation mit Menschen vor Ort, besonders mit einem landwirtschaftlichen Fachberater aus Srebrenica, der jede Plantage der Beerenanbauern besuchte, um sie detailliert zu beraten. Aber wir erlebten eben auch unbegreifliches Misstrauen, wenn sich jemand benachteiligt behandelt fühlte oder wenn uns fälschlicherweise unterstellt wurde, wir würden Projektgelder zweckentfremdet ausgeben. Dies war mitunter schwer auszuhalten. Jedenfalls taten wir alle unser Bestes, um das Projekt zum Erfolg zu führen.

Es war dann im Jahr 2016, als wir stolz berichteten, das Projekt habe nun ohne unsere Hilfe „laufen gelernt“. Das wollten wir, Heike Schesny-Hartkorn, unsere neue Vorsitzende, Ingrid Halbritter und ich bei unserem Besuch im Oktober 2018 genauer wissen und aus erster Hand erfahren.

Gleich am ersten Tag unserer Reise setzten wir uns abends mit dem Vorstand und mit einigen Mitgliedern der Erzeugergemeinschaft zusammen. Im schönen Besprechungszimmer der Erzeugergemeinschaft übrigens, welches ebenfalls vom Pharos-Projekt finanziert worden war. Es war wohltuend, altbekannte Gesichter wiederzusehen.

Was ist denn nun aus unserem gemeinsamen Projekt geworden, fragten wir. Hat sich die Mühe gelohnt, kann man auf den Plantagen heute mehr und bessere Qualität ernten als vor 8 Jahren? Konntet Ihr Euer Einkommen verbessern? Das Gespräch wogte hin und her, manche Himbeeren- Anbauer haben inzwischen Anschluss für Bewässerung auf ihren Plantagen, andere nicht. Mal bringt ein Jahr Trockenheit, dann wieder fällt Regen zur falschen Zeit, dann schwankt der Weltmarktpreis für Himbeeren von Jahr zu Jahr. Doch unterm Strich zogen die Anwesenden folgende Bilanz.

Ja, wir haben wirklich viel erreicht. Die zahlreichen Maßnahmen des Projektes haben zu teilweise erheblichen Produktionssteigerungen, einer besseren Beeren-Qualität und auch zu Einkommensverbesserungen geführt. Haupt-Erfolgsfaktoren waren
  • Bewässerung (etwa 45%)
  • Weiterbildungsmaßnahmen zu den Themen Düngung, Schutz und Pflege der Pflanzen (etwa 35%)
  • Maschinen zur Bodenbearbeitung (etwa 20%)
Unsere Koordinatorin vor Ort, Slavica, berichtete aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen, dass mehr als ein dreifacher Ertrag erzielt werden kann, wenn alles Erlernte eingehalten wird. Die Anwesenden schätzen, dass die Ertragsverbesserung im Durchschnitt über die ganze Erzeugergemeinschaft bei etwa 20 bis 30 % liegt.

Wie soll es künftig weitergehen, fragten wir? Aufgabe der Erzeugergemeinschaft ist weiterhin, ein Projekt-Darlehen zu verwalten, das den Mitgliedern zum gemeinsamen Einkauf für Dünge- und Pflanzenschutzmittel zur Verfügung steht. Auch sind zwei Bodenbearbeitungs-Geräte (Motokultivatoren) technisch zu warten und zu verwalten, damit sie an Mitglieder gegen eine Gebühr ausgeliehen werden können.

Am Ende unserer Besprechung war zu unserer Freude der Wille bei den Anwesenden aus Fakovici zu erkennen, zum Wohle der Mitglieder ehrenamtlich weiterzuarbeiten. Das Entscheidende und Ermutigende an dem Gespräch war die Aussage: Ja, wir haben viel gelernt durch das Projekt und wir sind bereit, das Erlernte langfristig anzuwenden. Natürlich jeder auf seine Weise, nach seiner Überzeugung und nach seinen Möglichkeiten.

So komme ich zu dem Schluss, in Fakovici haben wir Hilfe zur Selbsthilfe geleistet und so ist Hoffnung vor Ort entstanden, Einkommen zu verbessern. Dies ist kein unwichtiger Beitrag für die Menschen dort, in der Heimat zu bleiben, um dort den Lebensunterhalt zu erarbeiten.

Dass unser Projekt zur Inspiration geworden ist für die Durchführung eines sehr großen Projektes der Gemeinde Bratunac, das die Weltbank mitfinanziert, ist uns eine besondere Freude und Genugtuung: Auf dem gesamten Gemeindegebiet werden nach unserem Vorbild derzeit Bewässerungsanlagen für Beerenobstplantagen gebaut!

Freitag, 7. Dezember 2018

Die EU-Perspektiven Bosniens – Ein Neuansatz ist nötig

Vortrag des Pharos-Vorstandsmitglieds Dieter Fuchs beim Pharos/VHS-Informationsabend am 16.11.2018 in Echterdingen

Ausgangslage

Stellen Sie sich vor, die erweiterte Metropolregion Stuttgart, inklusive Heilbronn, Schwäbisch Hall und Tübingen mit rund 3,5 Millionen Einwohnern, würde innerhalb von vier Jahren praktisch ihre gesamten Exportmöglichkeiten verlieren. Man wäre zurückgeworfen auf den eigenen Regionalmarkt, bekäme auch keine Bundessteuern mehr, weil auch der Rest Deutschlands seine wirtschaftlichen Verbindungen weltweit verloren hätte. Die wirtschaftliche Lage würde sich dramatisch verschlechtern. In anderen Teilen der Bundesrepublik würden ethnisch unterlegte Unabhängigkeitskriege beginnen.

Bayern und Rheinland-Pfalz würden beginnen, Gebietsansprüche zu stellen, die die Region um Stuttgart in drei Teile zerreißen würden. Die Katholiken in der Region wollten zu Bayern, die Protestanten in die Pfalz, die Nichtreligiösen wollten die Region als eigenständige Gebietseinheit erhalten. Krieg würde beginnen zwischen den drei Gruppen, von außen gesteuert von Rheinland-Pfalz und Bayern.

100.000 Menschen würden dabei sterben und mindestens 250.000 fliehen, also etwa 10 Prozent der Bevölkerung. Ethnische Säuberungen hätten die drei vorher überwiegend gemischten Bevölkerungsgruppen weitgehend getrennt und von ihren angestammten Besitztümern vertrieben. Und nach drei Jahren würden die UN den Krieg mit einer Friedensvereinbarung beenden, die den Konflikt weitgehend einfriert, ohne die Grundkonflikte zu beseitigen. So war die Situation in Bosnien-Herzegowina zwischen 1989 und 1995.

Seit dem Dayton-Vertrag besteht Bosnien und Herzegowina nun aus zwei Entitäten: der Föderation Bosnien und Herzegowina (Federacija Bosne i Hercegovine) mit 2.371.603 Einwohnern (62,55 %) und der Republika Srpska mit 1.326.991 Einwohnern (35 %). Die Volkszählung 2013 ergab 50,1 Prozent Bosniaken (größtenteils Muslime), 30,8 Prozent Serben (größtenteils Orthodoxe) sowie 15,4 Prozent Kroaten. Beide Entitäten verfügen jeweils über eine eigene Exekutive und Legislative. Die Föderation Bosnien und Herzegowina setzt sich aus zehn Kantonen zusammen, die wiederum über eigene Zuständigkeiten verfügen.